(English below)
Deutsch
Den Besucher|innen meines Blogs(und natürlich allen anderen Menschen) wünsche ich angenehme, gesunde und besinnliche Festtage. Ja… besinnlich ist in dieser Zeit keine freie Wahl, sondern eine Notwendigkeit. Im Lockdown kann ‚besinnlich‘ auf die Sinne gehen. Das erkennbare Licht im Corona-Tunnel wird durch Konsequenz und Benutzen des eigenen Verstandes im Sinne Aller erreichbar. Das ist mein Weihnachten 2020.
Diese Kurzgeschichte habe ich vor Jahrzehnten geschrieben. Sie passt nicht mehr in diese Coronazeit. Trotzdem ist ihre Aussage zeitlos – Corona hin oder her. Aus heutiger Sicht ist sie ein Stück eigener Zeitgeschichte. Das kann man auch nostalgisch nennen. [Veröffentlich wurde sie damals in der Weihnachtsausgabe des MT (Mindener Tageblatt)].
Heiligabend
In den Straßen der kleinen Kreisstadt war es ruhig geworden. Hellerleuchtete Schaufenster mit greller, aufdringlicher Leuchtreklame blendeten erbarmungslos meine Augen. Das Weihnachtsgeschäft, das Geschäft des Jahres, war an diesem `Heiligabend´ gelaufen.
Die Gläubigen eilten nach dem obligatorischen Kirchgang zurück in die Behaglichkeit, in die Wärme und Geborgenheit ihrer festlich geschmückten Wohnungen. Es war Weihnacht.
Langsam schlenderte ich an den Schaufenstern vorüber.
Auf der anderen Straßenseite stand ein alter Mann vor einem Schaufenster.
Er schien völlig geistesabwesend zu sein. Ich blieb stehen und sah zu ihm hinüber. Ein eiskalter Wind zerrte an meinem Gesicht.
Ich schlug den Kragen meines Mantels auf und ging hinüber.
Er stand mit gesenktem Kopf vor dem Schaufenster eines Spielwarengeschäftes, die rechte Hand vor die Stirn gepresst. Ich sah unauffällig zu Ihm hinüber. Er schien mich nicht zu bemerken. Warum ging ich nicht weiter ?
Wie all die Anderen ?
Er weinte.
„Kann ich Ihnen helfen?“
„Mir kann niemand helfen!“
„Ja .. aber …“
„Lassen Sie mich in Ruhe! Was wollen Sie von mir?“
„Pardon. Ich will Sie nicht belästigen. Entschuldigung.“
Ich drehte mich um und wollte gehen.
„Warten Sie!“
Ich blieb stehen.
Der alte Mann stand immer noch so da – wie vor einer Minute.
„Warum kümmern Sie sich um mich? Sie kennen mich doch gar nicht!“
Ich schwieg eine Weile.
„ Ja .. da haben Sie recht. Ich kenne Sie nicht …“
Er nahm die Hand von der Stirn, hob langsam den Kopf und sah mich an. Sein vergrämter, zerflossener Blick traf mich wie ein Messer. Ich hatte das Gefühl, als suchte er jemanden .. irgendjemanden, mit dem er reden konnte. Einen Menschen, der ihm zuhörte, mehr nicht.
„Was bedrückt Sie?“
„Ach .. junger Mann …“ Er sah wieder auf den Boden.
„Dieser Abend soll für uns Menschen ein Abend des Glücks und der Zufriedenheit sein… Für mich ist er Verzweiflung. Ich musste `raus. Ich hielt es zuhause nicht mehr aus.“
„Was ist passiert?“
Er begann wieder zu weinen.
In den Häusern wurde das Fest der Freude und der Zufriedenheit gefeiert. Jeder auf seine Weise. Was war geschehen, dass dieser alte Mann weinend vor einem Schaufenster stand? Was hatte ihn so zerschmettert?
„Ich hatte den Tannenbaum geschmückt, die Kerzen angezündet und meine Tochter und meinen Schwiegersohn erwartet. Gott sei Dank, dass meine Frau das nicht mehr erleben muss! Ich hatte mich darauf gefreut, mit ihnen diesen Abend zu verbringen. Ich wollte heute nicht allein sein. Ich wollte es nicht… !“
„Und was geschah? Sie sind nicht gekommen?“
„Doch! Verflucht, sie sind gekommen. Mein Schwiegersohn war betrunken. Als er den Baum sah, begann er entsetzlich zu lachen. Er nannte ihn… ich mag es nicht sagen. Er sagte nur, dass er diesen `Blödsinn´ nicht mitmacht. Schließlich löschte er die Kerzen aus und knickte den Stamm in der Mitte ab. Meinen liebevoll geschmückten … Dann hab´ ich ihn hinausgeworfen.“
„Was sagte Ihre Tochter dazu?“
„Die ist mit ihm gegangen. Ja.. sie ist einfach mit ihm gegangen. Kein Wort….nichts!“
„Wollen Sie nicht nach Hause gehen?“
„Ja .. später…“
„Er war betrunken, sagten Sie?“
„Ja.“
„Dann wird er sich sicherlich morgen entschuldigen.“
„Ja, sicherlich… Ich wollte ihnen doch nur eine Freunde machen“, sagte er dumpf, und ich hatte das Gefühl, nicht mehr wahrgenommen zu werden. Er schüttelte nur langsam, wieder völlig abwesend den Kopf. „Ich wollte ihnen doch nur eine Freunde machen…“
An diesem Heiligabend stand der alte Mann vor dem Schaufenster eines Spielwarengeschäftes. Die schneidende Kälte dieser Weihnacht und das zerreißende Gefühl des Alleinseins waren seine gnadenlosen Begleiter in einer Nacht der Liebe, der Zusammengehörigkeit, des Vergebens und der Wärme. Der bloße, niederwerfende Gedanke daran und die Hoffnung auf eine Entschuldigung waren alles, was der alte Mann noch hatte. –
English
To the visitors of my blog (and of course to all other people) I wish pleasant, healthy and contemplative holidays. Yes… contemplative is not a free choice at this time, but a necessity. In lockdown, contemplative can go to the senses. The discernible light in the Corona Tunnel becomes attainable through consistency and using one’s mind for the sake of all. This is my Christmas 2020.
I wrote this short story decades ago. It no longer fits into this Corona era. Nevertheless, its message is timeless – Corona or not. From today’s perspective, it is a piece of my own contemporary history. You can also call it nostalgic. It was published in the Christmas edition of the MT (Mindener Tageblatt).
Christmas Eve..
The streets of the small county seat had become quiet. Brightly lit shop windows with garish, intrusive neon signs mercilessly dazzled my eyes. The Christmas business, the business of the year, had run its course on this `Christmas Eve‘.
After the obligatory church service, the faithful hurried back to the comfort, warmth and security of their festively decorated homes. It was Christmas.
Slowly I strolled past the shop windows.
Across the street, an old man stood in front of a shop window.
He seemed completely absent-minded. I stopped and looked over at him. An ice-cold wind tugged at my face.
I flipped open the collar of my coat and walked over.
He was standing with his head down in front of the window of a toy store, his right hand pressed in front of his forehead. I looked over at him inconspicuously. He did not seem to notice me. Why did I not go on ?
Like all the others ?
He was crying.
„Can I help you?“
„Nobody can help me!“
„Yes … but …“
„Leave me alone! What do you want from me?“
„Pardon me. I don’t want to bother you. Sorry.“
I turned to leave.
„Wait!“
I stopped.
The old man was still standing there like that – as he had been a minute ago.
„Why do you care about me? You don’t even know me!“
I was silent for a while.
“ Yes … you are right. I don’t know you …“
He took his hand from his forehead, slowly raised his head and looked at me. His sullen, melted look hit me like a knife. I felt as if he was looking for someone … anyone to talk to. A person who would listen to him, nothing more.
„What’s bothering you?“
„Oh … young man …“ He looked down at the floor again.
„This evening is supposed to be an evening of happiness and contentment for us humans….For me, it is despair. I had to get out. I couldn’t stand it at home anymore.“
„What happened?“
He began to cry again.
In the houses the feast of joy and contentment was celebrated. Each in his own way. What had happened to make this old man stand crying in front of a shop window? What had crushed him so?
„I had decorated the Christmas tree, lit the candles and was expecting my daughter and son-in-law. Thank goodness my wife doesn’t have to live through that! I had been looking forward to spending this evening with them. I didn’t want to be alone tonight. I didn’t want to be…. !“
„And what happened? They didn’t come?“
„Yes, they did, damn it, they came. My son-in-law was drunk. When he saw the tree, he started laughing horribly. He called it… I don’t like to say it. He just said that he was not going to go along with this `bullshit‘. Finally, he put out the candles and snapped the trunk in half. My lovingly decorated … Then I threw him out.“
„What did your daughter say about that?“
„She went with him. Yes … she just went with him. Not a word….nothing!“
„Don’t you want to go home?“
„Yes … later…“
„He was drunk, you said?“
„Yes.“
„Then he will surely apologize tomorrow.“
„Yes, certainly… I was just trying to make them friends,“ he said dully, and I felt as if I were no longer being noticed. He just shook his head slowly, again completely absently. „I just wanted to make them a friend…“
That Christmas Eve, the old man stood in front of the window of a toy store. The piercing cold of that Christmas and the wrenching feeling of being alone were his merciless companions on a night of love, togetherness, forgiveness and warmth. The mere prostrating thought of it and the hope of an apology were all the old man had left. –